Das Internet ist erwachsen geworden, das will gar nicht mehr spielen…

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Meine Generation ist toll. Wir haben den Anfang und den Zenit des Internets erleben dürfen! Uns brachte es schlaflose Nächte, steigerte den Spieltrieb und so einigen auch die große erste Liebe. Jetzt macht es leider keinen Spaß mehr.

Weltweit unterhalten sich unendlich viele Menschen über allerhand Themen, was man mit dem Internet machen darf, was nicht und was man machen könnte. Die reden so viel, dass sie manchmal gar vergessen wie die echte Welt aussieht und sagen den Leuten, die sollen nicht ins Internet gehen, wenn sie nicht mit den Konsequenzen rechnen können. Das kann aber keiner und das konnte vorher auch niemand.

liebe2.0

Aus nerdigster Nerdhand wackelte das Internet in unsere kleinen Geekfinger. Wir begannen uns mit knackenden Krachlauten über das 56K Modem bei AOL (ja, die waren mal beliebt) einzuloggen und waren ein paar Stunden online. Wir zahlten viel Geld, um für ein bisschen Zeit Mails zu schreiben, in Foren zu posten oder gar mit zig Leuten in einem Chatroom zu chatten (vielleicht die wahre Ursache von ADS).
Schritt für Schritt bekamen wir das Zepter in die Hand. Baukastensysteme für eigene Homepages wichen den Blogs und wir kauften uns keine neue Encartaversion mehr, weil da aufeinmal Wikipedia war, nachdem Google uns den Weg zu den immer wachsenden Seiten des Internets zeigte. Napster und WinMx brachten uns die erste illegale Musik und das ein oder andere Filmchen.
Das war ein Spaß! Doch wir sind nicht mehr im Paradies und daran ist nicht nur Apple schuld. Wir meldeten uns in den ersten Communities an und begannen uns nicht nur über MSN und ICQ zu unterhalten. Die Zeiten des heimlichen invisible-Seins sind vorbei. Es wird getrackt, retargeted und für alles eine App gebaut. Wir sind immer sichtbar, erreichbar und alle sind da. Wir können jeden stalken und wenn es nur dient, unseren Liebeskummer aufrecht zu erhalten. Jeden Tag gibt es mehr Seiten und alle Kontinente driften in die Online-Welt. Wir finden alles und jeden. Unsere gesamte Geduld und Konzentration geht kaputt. Wir werden verwöhnt und haben alles immer und überall. Wir fühlen uns allein, wenn nicht mindestens zwei Antworten auf unsere Statusnachrichten folgen.

Diese ganze große Party, die wir mal im Internet veranstaltet haben, wird nun mittels Feuerlöscher gezähmt. Das Internet trägt keine anarchischen Sprüche mehr auf dem Shirt, es trägt ein Hemd und klappt den Kragen hoch.

Guckt mal Investoren, so geht das Internet!

Mit allem soll Geld gemacht werden. Es klappt ja auch so gut. Besonders die Suchmaschinenoptimierung erfreut sich daran, dass nun auch die letzten bürokratischen Schnarchnasen im Internet mitspielen wollen. Natürlich ist es super, wenn Leute finden was sie suchen. Wenn sie aber nur das von denen finden, die am besten dafür zahlen? Das Internet verliert seine Demokratie, auch wenn genau das Gegenteil immer wieder gefeiert wird.

Menschen ohne Ahnung von Links, Domains und Netzwerken entscheiden wie das Internet aussehen soll. Sie haben Angst vor Kinderpornos und baden in ihrem Glauben Anspruch und Recht zu haben.

Wenn also jeden Tag alles mehr wird und wir den Suchergebnissen bei Google trotz Twittereinbindung nicht mehr glauben wollen, was machen wir? Klar, wir verlassen uns wieder auf unsere Freunde und deren Empfehlungen. Gut, dass wir auf einmal 1200 „Freunde“ haben und nicht so wenige wie damals vor Google. Unsere „Freunde“ sagen uns dann in unseren sozialen Netzen was noch gut ist und was sie entdecken. Wir vertrauen ihnen mehr als Google, denn Google ist ja angeblich nur noch evil. Wir haben dann auch gar keine Lust mehr über unsere Daten nachzudenken und wollen einfach nur noch jeden Tag in unsere sozialen Netze, die gesponnen sind aus der Hoffnung niemals allein zu sein und unendlich kreativ zu bleiben. Facebook wird unser soziales Google.

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Wir sind unsere eigene Dailysoap in der nicht endenden Sucht alles zu dokumentieren. „Generation Doku“ werden sie uns nennen und fragen, ob wir alle Exhibitionisten waren.

Internet, ich kann nicht mit und nicht ohne dich. Vielleicht wird es aber doch wirklich besser ohne dich. Vielleicht so in 5 Jahren. Vielleicht aber auch erst in 50. Dann wird meine Generation so um die 75 sein. Wir werden die ersten sein, die ihre Vergangenheit so detailliert aufgezeichnet haben und es wird uns das Herz brechen. Wir werden uns die Videos, die Links und die Fotos der heißesten Partys immer ansehen können. Wir werden nie vergessen können, weil es das Internet nicht tut. Wir können jeder Falte einen Namen geben oder ihren Geburtstag feiern, weil das Einstellungsdatum unseres Profilbild uns das Datum verrät.

Liebes Internet: Wir haben Angst vor dir und gleichzeitig lieben wir dich. Egal was in den nächsten Jahren passiert: „Vergib uns, denn wir wissen nicht, was wir tun.“

Wow, ihr habt bis zum Ende gelesen.

Social Media Irrgärtnerin, die immer zuerst die Faxnummer anruft & eines Tages dadurch noch einmal ihr Gehör verlieren wird.

7 Comments

  1. Woah, ganz toller Artikel… Vor allem die letzte Grafik macht mich etwas betrübt, weil es irgendwie auch stimmt. Na ja. Vielleicht sollte man einfach mal einen Gang runterschalten. Jetzt nicht nur in Bezug auf das Internet – eher so generell.

  2. Ganz toller Artikel!
    Dass das Internet nicht vergisst, gibt mir auch manchmal zu denken. Aber hey, wir sind jung, irgendwann wird man über sämtliche geschriebene oder bildliche Sachen lachen, so wie unsere Eltern, die dann eben alte Fotoalben rauskramen (obwohl ich die auch noch besitze ;-)).
    Internetkontakte machen Spaß, manchmal lernt man sogar welche real kennen, aber meiner Meinung nach ersetzen sie niemals richtige Freunde! Sie können sich höchstens zu welchen entwickeln, einmal durfte ich das auch erleben. Als Jugendliche haben wir uns kennen gelernt, 2 Jahre Nachrichten getauscht… und nun treffen wir uns mehrere Male im Jahr (da Norden-Süden; Fernfreundschaft). 🙂

  3. @Chaosmacherin Hahaha, wieso nicht damit gerechnet? Geht ja um Mode und Klimmbimm und wenn das Medium nun das Internet ist, dass muss man sich auch mal darüber Gedanken machen ( ; Geekig, ne?

    Danke fürs Zustimmen!

  4. @Mau Ja das habe ich auch schon erlebt. Öfter und auch intensiver. Wir vergessen nur manchmal unsere richtigen Freunde zu treffen und diese wahren Momente mit ihnen zu erleben, weil wir denken ein Gruscheln oder Stubsen in der Woche reicht um Kontakt zu halten.

    Klar werden wir über die Bilder später lachen, aber es wird trotzdem ein krasses Portfolio an Erinnerungen sein, das uns mitreißt.

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