Ich will das nicht

Ich will nicht wollen müssen. Gerade hat der 27. Geburtstag in meiner Wohnung gefeiert, mein letztes Projekt ist vorbei und ich sitze an meinem Schreibtisch und suche nach Jobs, die mir neben dem Studium die Stulle bezahlen. Ich finde viel im Marketingbereich. In großen Firmen mit großen Plänen, aber ich will das nicht. Ich will gar nicht mehr auf der Karriereleiter rumreiten, ich will nicht wieder jeden Tag 10 Stunden am Rechner sitzen, um 5 Wochen Jahres-Urlaub im Jahr zu haben. Ich will niemandem etwas verkaufen, um dann mit dem Geld auf meinem Konto wiederum anderen Dinge abzukaufen, die meine verlorene Zeit und Einsamkeit kompensieren.
Versteht mich nicht falsch, ich bin gut in so einigen Dingen und ich bin fleißig und verlässlich. Manchmal sogar zu pflichtbewusst. Jeder Arbeitgeber war traurig, als ich ging. Hätte ich meinen Job damals nicht gekündigt und nochmal angefangen zu studieren, würde ich jetzt mindestens das Dreifache auf meinem Konto am Ende des Monats finden. Ich will das aber nicht!
Ich war Überflieger und habe sehr schnell sehr viel gearbeitet. Doch seit meiner Kündigung, einer neuen, wenn auch mittlerweile bereits vergangenen Beziehung zu einem Tiefenentspanner, und einem fast arbeitslosen Auslandssemester hat sich so vieles in mir geändert. Ich bin so viel glücklicher und zufriedener (Achtung! Das hemmt doch das Wachstum!).
Das ist ja eigentlich das Schöne am Erwachsen(er) werden: Man fängt an zu wissen, was man nicht mehr will.
Und dennoch hole ich das Paradoxon in mir heraus und zweifle meinen Werdegang an. Mache mir Gedanken, dass es bis 30 (auch wenn es ja das neue 25 ist) nur noch 3 Jahre sind und ich weder weiß, wann ich Babys machen soll, noch wie ich die Rotweinflecken aus meinem Sofa bekommen kann. Ich habe keine Anbauwand und keine Versicherung, die über Hausrat und Haftpflicht hinausgeht. Und eigentlich finde ich das alles auch gar nicht schlimm, weil ich ja weiß, dass es MEIN kleeblattgepflasterter Weg ist. Ich weiß, dass ich mein Leben so mag. Schlimm macht es dann nur wieder der Vergleich und die immer wieder anklopfende Mainstream-Meinung plus Angstmache vor Altersarmut.
Wenn ich wenigstens wüsste, dass die Menschen mit Riesterrente & iPhone 6 singend durch die Straßen tanzen, aber das tun sie ja nicht. Meist sind sie unzufriedener als ich. Wenn auch in anderen Dimensionen oder wegen anderer Dinge.
Zwischen kapitalistischer Infiltrierung und Hippietum
Ich wache morgens herzerleichtert mit Konfetti auf dem Hintern auf, obwohl ich weder ein Auto, noch eine Wertanlage besitze. Ich habe diesen Sommer Surfen gelernt und mir einfach 6 Wochen freigenommen. Wer kann das schon von sich behaupten? Ich sollte mich also einfach mal über mein verdammtes Glück freuen & allen ins Gesicht rufen wie gut es mir geht.
Ich will reisen, ich will lernen und ich will von Menschen umgeben sein. Ich will ihre Geschichten kennenlernen und zusammen mit ihnen Bullenreiten, lachen und genießen. Ich will gern etwas leisten und mich engagieren. Es muss verhältnismäßig sein & wenigstens etwas Sinn machen.
Ich will, ich will, ich will!
Ich will das nicht.